Im Land der Mitternachtssonne by Norah Sanders

Im Land der Mitternachtssonne by Norah Sanders

Autor:Norah Sanders [Sanders, Norah]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-8387-2475-1
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-07-05T00:00:00+00:00


19

Spring Breakup, Frühjahrseisbruch, am Yukon im Abendlicht.

Das fantastische Naturschauspiel des Sommers ist nicht weniger beeindruckend als das flirrende Polarlicht im Winter, dachte Lyle am Ufer des Yukon. Eine Sinfonie in Blassblau und Zartrosa, wo sich die im Licht der untergehenden Sonne glühenden Wolken auf dem glitzernden Eis spiegelten.

Ein Blick auf die Uhr: Viertel vor elf. Nicht mehr lange, nur noch ein paar Wochen, und er konnte von der Veranda seiner Lodge die Mitternachtssonne genießen, die auf den Horizont sank, ohne ihn zu berühren, und dann wieder aufstieg.

Lyle steckte sich eine Lucky Strike an und genoss den Anblick des vorbeirauschenden Eises. Der aufgebrochene Yukon sah aus wie ein zerklüfteter Gletscher mit tiefen Spalten, der ziemlich schnell an ihm vorbeischoss.

Vor seinen Füßen rollten lattenkistengroße Blöcke aus blankem Eis über das lehmige Ufer, angeschoben von der Wucht des fließenden Wassers. Sie stürzten zurück in den Fluss und wurden von den Eismassen erneut ans Ufer geworfen. Da trieb ein Baumstamm in der Strömung! Und da! Unter dem Druck des Wassers richtete sich ein Eisblock, groß wie sein alter Greyhound-Bus, im Wasser auf! Als er wieder umkippte, zerknickte er einen jungen Baum am Ufer. Peng, einfach so. Das Bäumchen war hin. Totalschaden.

In einer Welle schwappte das aufgewühlte Wasser bis vor seine pelzgefütterten Mokassins, und seine Huskys, die einige Schritte entfernt mit dem improvisierten Zugschlitten aus zwei jungen Birkenstämmen warteten, wichen winselnd zurück. Auf dem Schlitten hing festgezurrt das Karibu, das er vorhin in den Flats erlegt hatte.

Ist schon interessant, was der Yukon so anschwemmt, dachte Lyle. Letztes Jahr trieb eine ganze Blockhütte vorbei, vom Schmelzwasser unterspült und mitgerissen. Ein Cheechako hatte seine Lodge ans Wasser gebaut, so ’n Trottel! Null Erfahrung, aber in der Wildnis Alaskas überleben wollen, na klar!

Jetzt trieb Packeis vorbei, und einige der dunklen Eisblöcke sahen aus wie schroffe Felsen aus Granit, die mitgerissen wurden. Ein Hundeschlitten! Hoffentlich waren der Fahrer und seine Huskys in Sicherheit.

Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und dachte an Jason und Sheena. Den besten Freund zu verlieren war hart. Aber unversöhnt auseinandergegangen zu sein, nach einem Streit, der fast in einer Prügelei geendet hätte … das war unerträglich …

»Verdammt, Jason!« Lyle atmete tief durch.

Ja, wie ein Gletscher sah der Yukon aus, die geborstene Eisdecke war noch nahezu geschlossen. Erst vor Kurzem war sie mit lautem Getöse wie in einer wüsten Schießerei aufgebrochen. In seiner Lodge war er aus dem Schlaf geschreckt und hatte die Winchester entsichert, die immer neben ihm im Bett lag.

Verdammt, er hatte wirklich gedacht, sie hätten ihn gefunden. Nackt war er rausgerannt in die Mitternachtsdämmerung, die Winchester im Anschlag. Aber es war nur das brechende Eis gewesen. Den Whiskey hatte er wirklich gebraucht, um sich wieder zu beruhigen.

Unwillkürlich lauschte er, doch außer dem Donnern des Wassers und des Eises konnte er nichts hören. Der Winter war lang und kalt gewesen, und die Zugvögel waren noch nicht in die Flats zurückgekehrt. Letztes Frühjahr hatte er Ende Mai Drosseln, Sperlinge und Spatzen gesehen, aber dieses Jahr? Nichts, kein Singvogel. Nur Elche und Karibus, Weißkopfadler und Grizzlys.



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